Macht, Abhängigkeit und Ethik im freien Tanz und Theater
Vortrag am 22.8.2020 in Zürich (Zoom) – Kick-off-Vortrag der Kampagne FAIRSPEC zur Initiierung eines Ethischen Codes of Conduct für die Freie Szene
Ich möchte mich herzlich für die Einladung bedanken, und ich freue mich hier sein zu können, weil ich mit Zürich eng verbunden bin und mich mit der Theaterszene und ihren progressiven Entwicklungen auch eng verbunden fühle.
Ich habe den Auftrag erhalten, im heutigen Kickoff-Meeting einen Impuls-Vortrag zu halten, und darin vor dem Hintergrund meiner Forschung zu den Themen Macht, Missbrauch und Krisen im THEATER Aspekte zu formulieren, die bei der Entwicklung und Formulierung eines Code of Conduct für ein faires freies Theater in Zürich eine Rolle spielen können.
Aufgrund des eng gesteckten zeitlichen Rahmens werde ich mit meinen Ausführungen nur bestimmte Gebiete und Aspekte ansprechen können. Ich bitte also um Nachsicht, wenn ich Dinge nicht in der Tiefe bespreche, wie es nötig wäre, um all den Problemen gerecht zu werden, die in den letzten Jahren in diesem Themenbereich akut geworden sind. Ich möchte voranstellen, dass es sich um meine persönlichen Ansichten und jeweils um Vorschläge handelt, die Euch Anregungen aus meiner Sicht geben sollen. Mitnichten habe ich den Anspruch hier allgemeingültige Lösungen zu formulieren, die ohnehin jeweils vor den aktuellen Rahmenbedingungen entwickelt werden müssen.
In meiner Lecture möchte ich mich auf 3 Teilthemen beziehen, die dort wo Performative Künstler*innen miteinander arbeiten dann auftreten können, wenn zuvor versäumt wurde klare Regeln zu vereinbaren – oder wenn diese gebrochen werden.
Vor allem die Arbeit in künstlerischen Zusammenhängen führt dazu, dass Grenzen verwischt, Grenzen übertreten und Menschen verletzt und/oder missbraucht werden.
Ein wesentlicher Umstand ist auch: die künstlerische Arbeit unterscheidet sich in ihren Produktions-Zusammenhängen sehr stark von dem, was sie auf der Bühne, in Debatten oder Diskurs- Veranstaltungen verhandelt: Progressive Themen, Diversität, Demokratie, Partizipation, Inklusion. Im Widerspruch dazu geht es um Ausübung von Macht auf den verschiedenen Ebenen:
zwischen Leitungen, Management und/oder Regie und Mitarbeiter*innen
zwischen den künstlerischen und administrativen Bereichen
zwischen Geldgebern/Förderern und abhängigen Künstler*innen
zwischen denen die im Zentrum der Netzwerke agieren, und denen, die nie, noch nicht/ nicht richtig dazu gehören.
Denn es muss an dieser Stelle zum Allheilmittel der durchaus fabelhaften Netzwerke gesagt, dass auch sie Macht in ihren Knotenpunkten jederzeit ansammeln können, wenn sich dort Personen finden, die darauf aus sind und deren Hauptaugenmerk in allem was sie inhaltlich tun, der Erwerb, Erhalt und Ausbau von Macht ist.
Vor allem wird Macht eingesetzt, um die Autonomie des anderen zu brechen, und die eigene Position zu stärken,
um Menschen verfügbarer zu machen, z.B. für Selbstausbeutung, also höchsten mentalen und physischen Einsatz,
für ein prekäres Leben, als selbstgewählter «Preis» für die Verwirklichung künstlerischer Träume,
Macht wird aber auch missbraucht im Zusammenhang mit Ressourcen, und zwar meist in Verteilungszusammenhängen, und das auf verschiedenen Ebenen, zwischen:
Geldgeber*in und Empfänger*in
Facilitator*in (Politik) und Künstler*in
Manager*in und Künstler*in
Produktionszentrum und Company/ Künstler*in.
Ganz am Anfang steht überhaupt erst einmal die Frage, wie komme ich rein in dieses System. Wie überwinde ich die Hürden, die Limits, die Schranken, die Wächter dieses Systems?
Als ich ein junger Theatermacher war, habe ich verschiedene Wege unternommen, um ins Theater zu kommen, mit dem Ziel wirklich etwas zu bewirken, nicht nur ewig auf einer Assistenz zu sitzen, sondern voranzukommen; dort habe ich gemerkt, wie die Menschen die in den Netzwerken Macht hatten, blockiert haben, und wie die Strukturen, die wir selbst stützen, ihnen sogar dabei helfen.
Also haben wir selbst eine Company gegründet und die ganze Arbeit die viele von euch kennen: Grassroot, Community-Building, Klinken putzen, Strippen ziehen, Lobbyarbeit, Förderanträge, Kooperationen, Beschaffung von Geld, Material, Spielstätten selbst gemacht, gemeinsam mit einem hervorragenden Team von Künstler*innen, in dem wir uns gegenseitig unterstützt haben.
Aber überall gab es gläserne Decken.
Ich kam mir vor, als sitze ich in einem Gläsernen Würfel aus Panzerglas, und jedes Gespräch dass ich mit einer relevanten Person außerhalb dieses Würfels führte, fand auf zwei Ebenen statt, der inhaltlichen Ebene und der Macht-Ebene, mit der mir signalisiert wurde, dass ich nur zum Erfolg komme, wenn ich den Status meiner Abhängigkeit anerkenne, und das Gegenüber in anderen Belangen unterstütze.
Und ich musste lernen, dass ich mich hinten anstellen müsse, denn im Kultursystem gelten feste Regeln des DIENENS, WARTENS und HOFFENS.
In diesem kleinen Beispiel finden wir bereits wesentliche Begriffe, die Ihr aus Eurer Arbeit kennt und die zum festen Vokabular der Freien Szene gehören:
Macht ist überall anzutreffen wo Menschen sind und arbeiten
Macht ist mit den Strukturen verbundenen in denen wir arbeiten
Macht gibt es in Kombination mit:
Abhängigkeit, Undurchlässigkeit
Mit einer Organisationskultur, die Rituale hofiert, wie die Seniorität oder die Anciennität, dass man also Stallgeruch haben muss, was wiederum hervorragend ausgebildeten jungen Menschen nicht die Chance gibt, früher Verantwortung zu übernehmen, bis sie nicht ihre Zeit «abgedient» haben.
Auch die Gründe hierfür sind vielfältig:
Fehlendes normatives Gerüst mit gemeinsam vereinbarten Grundwerten,
Fehlende moderne Regeln und Regelwerke,
Fehlende Vor- und Weiterbildung Beteiligter in Systemrelevanten Bereichen,
Unzureichende, wenig transparente Kommunikation, weil Informationen als Machtinstrumente eingesetzt werden,
Gering ausgebildeter Respekt und fehlende Offenheit, Versperrung der Zugänge, Wächter der Netzwerke.
Meine These: Wenn es gelingt,
A – Ein NORMATIVES GERÜST aufzustellen, in dem wesentliche Werte und ein darauf basierendes Regelwerk in Form eines verbindlichen Kodex,
der die Arbeit inner- und außerhalb der Produktions-Zusammenhänge miteinander klar regelt, verankert werden;
B – und die Akteur*innen der Community sich darauf einigen.
Dann sollte und könnte es auch gelingen:
Die Macht zu regulieren und den Missbrauch einzudämmen,
Verlässlichkeit, Respekt und Miteinander
und Produktionsbedingungen zu fördern, die menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen zulassen.